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WTF-Fragen
 

Hatten Wikinger wirklich Helme mit Hörnern?

 

Kategorie:

Geschichte

Der kurze TEASER:

Nein, kein einziger archäologischer Fund belegt das. Das Bild des gehörnten Wikingers ist eine romantische Erfindung des 19. Jahrhunderts, die vor allem durch eine Oper populär wurde. Echte Wikingerhelme waren schlichte, funktionale Schutzwaffen.

Die ausführliche Antwort:

Das Bild ist ikonisch: Ein bärtiger, wilder Krieger springt von einem Drachenboot, eine Axt in der Hand und auf dem Kopf ein Helm, aus dem zwei bedrohliche Hörner ragen. Dieses Bild hat sich so tief in unser kulturelles Gedächtnis eingebrannt, dass es fast als historische Tatsache gilt. Es ist das Standardkostüm für jede Karnevalsparty und das Markenzeichen des "Wikingers" in Filmen und Comics. Doch es ist historisch vollkommen falsch. Die Archäologie hat bis heute keinen einzigen authentischen Wikingerhelm mit Hörnern zutage gefördert. Die wenigen Helme aus der Wikingerzeit (ca. 800-1050 n. Chr.), die gefunden wurden, sind von pragmatischer Schlichtheit. Das berühmteste Beispiel ist der Gjermundbu-Helm, der 1943 in Norwegen entdeckt wurde. Er besteht aus Eisenplatten, die zu einer einfachen runden Kappe zusammengenietet sind (ein sogenannter Spangenhelm), und verfügt über einen Gesichtsschutz in Form einer "Brille" und einen Nackenschutz. Funktional, effektiv und vor allem: ohne Hörner. Warum auch? Im Kampf wären Hörner an einem Helm extrem unpraktisch und gefährlich gewesen. Ein Schwerthieb oder ein Axthieb könnte sich darin verfangen, den Helm vom Kopf reißen oder den Träger aus dem Gleichgewicht bringen. Ein Helm dient dem Schutz, und Hörner würden diesen Schutz aktiv untergraben. Woher kommt also dieser hartnäckige Mythos? Die Wurzeln liegen in der Romantik des 19. Jahrhunderts. Künstler und Dichter dieser Zeit entdeckten die nordische Mythologie und die Sagas wieder und interpretierten sie auf ihre eigene, dramatische Weise. Der entscheidende Moment kam 1876 mit der Uraufführung von Richard Wagners Opernzyklus "Der Ring des Nibelungen". Der Kostümbildner Carl Emil Doepler entwarf für die germanischen Götter und Helden auf der Bühne eindrucksvolle, theatralische Kostüme – und setzte ihnen Helme mit Flügeln und Hörnern auf. Dieses Bild war so kraftvoll und einprägsam, dass es sich verselbstständigte. Es passte perfekt zur Vorstellung des "edlen Wilden", des naturverbundenen, aber auch furchterregenden Barbaren aus dem Norden. Zwar gibt es ältere Darstellungen von Figuren mit gehörnten Helmen (z. B. auf dem Kessel von Gundestrup oder Felsritzungen aus der Bronzezeit), doch diese stammen aus einer Zeit lange vor den Wikingern und hatten wahrscheinlich eine rein rituelle oder zeremonielle Bedeutung, keine militärische. Die Künstler des 19. Jahrhunderts vermischten diese verschiedenen Epochen und schufen so einen neuen, historisch falschen, aber kulturell extrem erfolgreichen Archetyp. Der gehörnte Wikinger sagt also nichts über die historischen Nordmänner aus, aber sehr viel über die Sehnsüchte und die Vorstellungskraft des 19. Jahrhunderts. Der echte Wikinger war kein Opernheld, sondern ein pragmatischer Krieger, Bauer und Händler, dessen Ausrüstung auf Überleben und Effizienz ausgelegt war, nicht auf Theatralik.
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