Blogverzeichnis Bloggerei.de
top of page

Außerhalb unseres Universums: Warum „draußen“ vielleicht gar kein Ort ist

Vor einem sternübersäten Weltraum steht eine einzelne Astronautenfigur auf felsigem Boden und blickt auf ein leuchtendes, ringförmiges Portal mit einem großen Fragezeichen in der Mitte. Darüber und darunter sind große deutsche Textzeilen zu sehen, die nach dem „Jenseits unseres Universums“ und einer „Grenze der Realität“ fragen.


Außerhalb unseres Universums: Was liegt hinter der Grenze der Realität?


Stell dir vor, du stehst am Rand von allem. Nicht am Rand eines Kontinents oder einer Galaxie – sondern am Rand dessen, was überhaupt „da“ ist. Und dann kommt diese Frage, die gleichzeitig kindlich und radikal klingt: Was ist außerhalb unseres Universums?


Schon beim Aussprechen knirscht die Sprache. Denn „Universum“ bedeutet (streng genommen) das Ganze. Wenn es das Ganze ist – wie kann es dann ein „außerhalb“ geben, das nicht sofort wieder Teil dieses Ganzen wäre? Genau dieses Paradox ist der Grund, warum die Frage so elektrisiert: Sie zwingt uns, unsere Alltagslogik wie ein Taschenmesser aufzuklappen und zu merken, dass sie an manchen Stellen nicht mehr schneidet, sondern nur noch glitzert.


Wenn dich solche Grenzfragen packen: Abonniere gern den monatlichen Newsletter – dort landen regelmäßig genau diese Momente, in denen Wissenschaft plötzlich wie Science-Fiction wirkt (nur eben mit Formeln statt Drehbuch).


Die unmögliche Frage – und warum die Physik sie trotzdem ernst nimmt


In der Alltagssprache klingt „außerhalb“ nach Geografie: Hinter dem Zaun, jenseits des Ozeans, hinter der nächsten Kurve. Aber Kosmologie ist keine Landkarte, sondern eher ein Regelwerk darüber, was überhaupt beobachtbar und kausal erreichbar ist.


Die moderne Physik hat die klassische „Alles-ist-drin“-Definition des Universums deshalb praktisch aufgesplittet. Wir reden heute je nach Kontext über:


  • das beobachtbare Universum (alles, von dem Licht uns bis heute erreichen konnte),

  • ein globales Universum (mehr Realität, als wir je sehen können),

  • und – je nach Theorie – eine noch größere Bühne wie Multiversum oder höherdimensionale Räume.


Damit wird „außerhalb unseres Universums“ zu einer Art Sammelbegriff: mal meint er „jenseits unserer Beobachtung“, mal „jenseits unserer Raumgeometrie“, mal „jenseits unserer Dimensionen“ – und manchmal „jenseits von Zeit selbst“.


Außerhalb unseres Universums beginnt (für uns) dort, wo Information nicht mehr ankommt


Bevor wir nach „draußen“ fragen, müssen wir klären, wo überhaupt „drinnen“ ist – zumindest für uns als Beobachter. Und hier kommt die vielleicht schönste Gemeinheit der Natur: Die Lichtgeschwindigkeit ist endlich.


Das Universum ist rund 13,8 Milliarden Jahre alt. Intuitiv könnte man denken: Dann sehen wir maximal 13,8 Milliarden Lichtjahre weit. Aber der Raum selbst hat sich während der Reise des Lichts ausgedehnt. Das Ergebnis ist eines dieser kosmischen Aha-Erlebnisse: Der Radius des beobachtbaren Universums liegt nicht bei 13,8, sondern bei ungefähr 46,5 Milliarden Lichtjahren – also etwa 93 Milliarden Lichtjahre Durchmesser.


Ein „Rand“ ohne Wand

Der Rand des beobachtbaren Universums ist keine Kante und keine Barriere. Er ist eine Zeitgrenze: eine Linie, hinter der uns schlicht noch keine Information erreicht hat.


Und was ist direkt dahinter? Nach dem kosmologischen Standardbild: mehr vom Gleichen. Keine große Leere, keine Mauer, kein „Ende der Realität“, sondern Regionen voller Galaxien und Dunkler Materie – nur eben (noch) außerhalb unserer kausalen Reichweite.


Drei Horizonte, drei Arten von „Jenseits“


Kosmologie liebt präzise Begriffe, weil unser Bauchgefühl hier notorisch irrt. Besonders wichtig ist die Unterscheidung von drei „Horizonten“, die alle anders beantworten, was „außerhalb“ bedeutet:


  • Hubble-Sphäre: Ab einer bestimmten Entfernung entfernen sich Galaxien durch die Expansion so schnell, dass ihre Rezessionsgeschwindigkeit größer als c wird. Das klingt nach „Licht kann nie ankommen“ – ist aber nicht automatisch wahr, weil sich diese Grenze selbst verändert.

  • Partikelhorizont: Die tatsächliche Grenze des beobachtbaren Universums (Vergangenheit): Von dahinter konnte seit dem Urknall noch kein Signal bei uns eintreffen.

  • Kosmologischer Ereignishorizont: Die harte, bittere Grenze der Zukunft: Regionen, von denen ein heute ausgesandtes Signal uns niemals erreichen wird – selbst in unendlicher Zeit. (Danke, Dunkle Energie.)


Das ist das fast schon poetische Drama der beschleunigten Expansion: Es gibt Galaxien, deren altes Licht wir noch sehen – deren heutiges Sein uns aber bereits entgleitet. Ein permanentes „Außerhalb“ entsteht nicht als Ort, sondern als unüberwindbare Trennung.


Hat das All einen Rand – oder eine Schleife? Kosmische Topologie zum Anfassen


Jetzt wird’s geometrisch. Die Allgemeine Relativitätstheorie sagt uns viel über lokale Krümmung: Ob Raum sich eher flach, kugelig oder sattelförmig verhält. Messungen (u. a. aus der Hintergrundstrahlung) zeigen: Unser Universum ist auf großen Skalen extrem nahe an flach.


Aber „flach“ heißt nicht automatisch „unendlich“. Hier kommt die Topologie ins Spiel – die Lehre von der Gesamtform. Und Topologie ist die Wissenschaft, die dir erklärt, warum eine Kaffeetasse und ein Donut im mathematischen Sinne Verwandte sind.


Eine der anschaulichsten Ideen: der 3-Torus. Stell dir ein Videospiel wie Pac-Man vor: Du gehst rechts raus und kommst links wieder rein. Keine Kante, kein Außen – obwohl die Welt endlich ist. In drei Dimensionen wäre das eine Art Raum, der in sich selbst zurückläuft.


Was würde das bedeuten?


  • Das Universum könnte endlich sein, ohne einen Rand zu besitzen.

  • Ein echtes „außerhalb unseres Universums“ gäbe es dann räumlich nicht – weil es keinen „draußen“-Ort gibt, in den man hinausfallen könnte.

  • Und theoretisch könnte Licht den Kosmos umrunden, sodass wir unter Umständen Mehrfachbilder derselben Objekte am Himmel finden könnten (was schwer nachzuweisen ist, weil die „Spielwelt“ dafür sehr groß sein müsste).


Das 3-Torus-Indiz: Was eine Studie von 2024 in den Planck-Daten gefunden haben will


Hier wird es spannend – und wichtig: spannend heißt nicht bewiesen.

Eine Studie von Ralf Aurich und Frank Steiner (März 2024) hat einen neuen Ansatz genutzt, um in den Planck-Daten (2018) nach topologischen Signaturen zu suchen: Betti-Funktionale aus der algebraischen Topologie. Vereinfacht gesagt zählen Betti-Zahlen, wie viele „zusammenhängende Bereiche“, „Tunnel“ oder „Hohlräume“ eine Struktur hat – übertragen auf die Muster der Temperaturfluktuationen der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung.


Das Ergebnis: Die gemessenen topologischen Kennzahlen weichen in ihrer Analyse von dem ab, was man für einen „trivialen“ (einfach unendlichen) Raum erwarten würde – und liegen überraschend gut im Bereich dessen, was ein kubisches 3-Torus-Universum mit einer Seitenlänge von ungefähr 2 bis 3 Hubble-Längen liefern könnte.


Was heißt das für die große Frage? Wenn sich so etwas erhärten würde, wäre „außerhalb unseres Universums“ nicht die nächste Tür – sondern eher wie bei einem Spiegelkabinett: Du läufst weit genug und kommst wieder bei dir selbst an. Das „Jenseits“ wäre eine Rückkehr, keine Fremde.


Vorsicht, Kosmologie in freier Wildbahn


Topologie aus CMB-Daten zu lesen ist extrem anspruchsvoll. Ein „Indiz“ ist noch keine „Entdeckung“. Aber neue Methoden sind genau das, was man in einem Feld braucht, in dem man keine Proben einsammeln kann.


Inflation und Multiversum: Wenn unser Kosmos nur eine Blase ist


Angenommen, der Raum läuft nicht zurück. Dann ist die wahrscheinlich berühmteste Tür zum „Außerhalb“ die kosmische Inflation: eine Phase extrem schneller Expansion kurz nach dem Urknall, eingeführt, um klassische Probleme des Urknallmodells zu lösen (z. B. warum das Universum so gleichmäßig ist).


Viele Inflationsmodelle führen zu einer Konsequenz, die so groß ist, dass sie fast schon unverschämt wirkt: Ewige Inflation. Die Idee: Das Inflationsfeld fällt nicht überall gleichzeitig in einen niedrigeren Energiezustand. In manchen Regionen endet Inflation → dort entstehen „Blasenuniversen“ wie unseres. In anderen Regionen läuft Inflation weiter → dort entstehen ständig neue Blasen.


Das „außerhalb unseres Universums“ wäre in diesem Bild:


  • ein inflationärer Hintergrundraum, der viel schneller wächst, als Licht Brücken bauen könnte,

  • ein kosmischer Schaum aus Blasen, die kausal getrennt sind (außer vielleicht bei sehr frühen Kollisionen),

  • und – wenn man String-Ideen dazunimmt – möglicherweise ein Flickenteppich aus unterschiedlichen „Vakuumzuständen“, in denen Naturkonstanten variieren könnten.


Hier kippt die Frage von „Wo ist draußen?“ zu „Wie viele Versionen von Realität sind mathematisch möglich – und welche davon werden physikalisch real?“


Höhere Dimensionen: Der Bulk direkt neben dir


Noch wilder – aber auf eine andere Art – wird es mit Stringtheorie/M-Theorie. Dort taucht „außerhalb“ nicht als „weit weg“ auf, sondern als seitlich: zusätzliche Raumdimensionen.


Zwei Bilder sind hier besonders populär:


Erstens: kompaktifizierte Dimensionen (z. B. Calabi–Yau-Mannigfaltigkeiten). Dann wäre das „Außerhalb“ nicht jenseits der Galaxien, sondern an jedem Punkt verborgen – zusammengerollt auf extrem kleinen Skalen.


Zweitens: Brane-Kosmologie. Unser Universum wäre eine dreidimensionale „Brane“, eingebettet in einen höherdimensionalen Bulk. Materie und Licht wären an die Brane gebunden – wir wären also buchstäblich „hier festgeklebt“. Nur Gravitation könnte (je nach Modell) in den Bulk „auslaufen“.


Das ist ein Gedankenbild, das ich liebe, weil es den Alltag sabotiert: Vielleicht ist das „außerhalb unseres Universums“ nicht hinter Milliarden Lichtjahren, sondern einen winzigen Schritt in eine Richtung, für die wir keinen Sinn besitzen – wie eine zweidimensionale Zeichnung, die nicht begreifen kann, was „oben“ bedeutet.


Vor dem Urknall: Wenn „davor“ so schief klingt wie „südlich vom Südpol“


Die räumliche Frage hat einen zeitlichen Zwilling: Was war vor dem Urknall? Und wieder ist die Sprache der Stolperdraht. Wenn Zeit mit dem Urknall beginnt, dann ist „davor“ kein Ort in der Zeit – sondern ein Kategorienfehler.


Drei prominente Ideen zeigen, wie Physik versucht, den Knoten zu lösen:

Hartle–Hawking („No Boundary“): Die frühe Raumzeit ist so modelliert, dass sie keinen Rand hat – wie eine Kugeloberfläche keinen Rand besitzt. „Vor dem Urknall“ wäre dann wie „südlich vom Südpol“: kein Abgrund, sondern ein Begriff, der dort seine Bedeutung verliert.


Vilenkin („Tunneln aus dem Nichts“): Das Universum könnte quantenmechanisch aus einem Zustand ohne klassische Raumzeit „heraustunneln“. Aber selbst dieses „Nichts“ ist philosophisch heikel – weil es meist implizit noch Gesetze voraussetzt.


Penroses Konforme Zyklische Kosmologie: Unser Universum wäre ein „Äon“ in einer Kette; das extrem verdünnte Ende eines Äons könnte mathematisch an den heißen Anfang des nächsten anschließen. Dann wäre „davor“ einfach: das vorherige Kapitel.


Ob eines davon stimmt? Unklar. Aber sie zeigen etwas Entscheidendes: Man kann „außerhalb“ auch als Grenze unserer Begriffe verstehen, nicht nur unserer Teleskope.


Nichts, Vakuum, Mathematik: Wo Physik in Philosophie übergeht


Spätestens beim Wort „Nichts“ wird’s existenziell. Denn viele Menschen meinen mit „außerhalb“ letztlich: Was ist, wenn gar nichts ist?


Die Quantenfeldtheorie macht es uns schwer, „Nichts“ überhaupt sauber zu definieren: Selbst das Vakuum ist kein leeres Nichts, sondern ein Zustand mit Fluktuationen. Und logisch hat „absolutes Nichts“ ein Problem: Etwas ohne Eigenschaften kann keine Grenze bilden – denn um eine Grenze zu sein, müsste es „irgendwie“ anders sein als das, was es begrenzt.


Eine radikale Flucht nach vorn ist dann der mathematische Realismus à la „mathematisches Universum“: Wenn physische Realität im Kern mathematische Struktur ist, gibt es kein Außen zur Mathematik – nur mehr Struktur, mehr Möglichkeiten, mehr „Welten“ im abstrakten Sinn. Das ist nicht unbedingt tröstlich. Aber es ist eine Art kosmische Ehrlichkeit: Vielleicht ist das größte „Außerhalb“ nicht der Raum, sondern die Menge dessen, was denkbar konsistent ist.


Hinter der Grenze der Realität wartet weniger ein Ort als eine Idee


Wenn du nach einer simplen Antwort suchst, muss ich dich enttäuschen – und vielleicht ist genau das der Reiz. Es gibt keine seriöse Kosmologie, in der am Ende des Alls eine Wand steht, vor der man ein Selfie machen könnte.

Stattdessen haben wir mehrere „Außen“-Bedeutungen, je nachdem, welche Grenze wir meinen:


  • Außerhalb unserer Beobachtung: Regionen jenseits des Partikelhorizonts sind sehr plausibel real – nur (noch) nicht erreichbar.

  • Außerhalb als Formfrage: Der Raum könnte unendlich sein – oder endlich ohne Rand (3-Torus als mögliche, noch unsichere Spur).

  • Außerhalb als größere Bühne: Inflation kann ein Multiversum aus Blasen motivieren.

  • Außerhalb als zusätzliche Richtung: Brane/Bulk-Ideen verlagern „draußen“ in höhere Dimensionen.

  • Außerhalb der Zeit: „Vor dem Urknall“ könnte ein falsch gestellter Satz sein – oder ein Hinweis auf neue Physik.


Wenn du magst, nimm die Frage „Was ist außerhalb unseres Universums?“ als mentalen Grenzstein: Nicht um ihn schnell zu überqueren, sondern um zu merken, wie weit Denken überhaupt tragen kann – und wo es neue Werkzeuge braucht.


Wenn dich das beim Lesen gepackt hat: Lass gern ein Like da und schreib mir in die Kommentare, welche „Außen“-Idee dich am meisten fasziniert (oder nervt). Und wenn du Teil der Community werden willst, folge auch hier für mehr:




Quellen:


  1. Betti Functionals as a Probe for Cosmic Topology (arXiv:2403.09221) - https://arxiv.org/pdf/2403.09221

  2. Betti Functionals as a Probe for Cosmic Topology (Abstract-Seite) - https://arxiv.org/abs/2403.09221

  3. Shape of the universe - https://en.wikipedia.org/wiki/Shape_of_the_universe

  4. What Is the Geometry of the Universe? | Quanta Magazine - https://www.quantamagazine.org/what-is-the-geometry-of-the-universe-20200316/

  5. Measuring the topology of the universe (PMC/NIH) - https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC34195/

  6. Eternal inflation - https://en.wikipedia.org/wiki/Eternal_inflation

  7. Eternal inflation and the multiverse (UC-HiPACC, Slides) - https://hipacc.ucsc.edu/IPC2013/slides/130703_AnthonyAguirre_Inflation.pdf

  8. Calabi–Yau manifold - https://en.wikipedia.org/wiki/Calabi%E2%80%93Yau_manifold

  9. M-theory - https://en.wikipedia.org/wiki/M-theory

  10. Brane-World Gravity (PMC) - https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5479361/

  11. Review of the No-Boundary Wave Function (arXiv) - https://arxiv.org/html/2303.08802v3

  12. Conformal cyclic cosmology - https://en.wikipedia.org/wiki/Conformal_cyclic_cosmology

  13. Nothingness (Stanford Encyclopedia of Philosophy, Archiv) - https://plato.stanford.edu/archives/win2008/entries/nothingness/

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
bottom of page