Oktopus MDMA Studie: Öffnet Ecstasy uralte soziale Schaltkreise?
- Benjamin Metzig
- vor 2 Tagen
- 5 Min. Lesezeit

Oktopus MDMA Studie: Was passiert, wenn ein Einzelgänger plötzlich kuschelig wird?
500 Millionen Jahre Evolution trennen uns vom Oktopus – und trotzdem scheint ein kleines Molekül eine Brücke zu schlagen: Serotonin. Genau diese kühne Idee testeten die Neurowissenschaftler Gül Dölen und Eric Edsinger in einem viel diskutierten Experiment. Klingt nach Science-Fiction? Ist echte Forschung. Wenn dich solche Deep Dives faszinieren: Abonniere gern meinen monatlichen Newsletter für mehr Inhalte wie diesen.
Serotonin, SERT und MDMA – das soziale Mischpult im Gehirn
Serotonin ist einer der ältesten Botenstoffe im Tierreich. Ein Protein namens Serotonin-Transporter (SERT) reguliert seine Verfügbarkeit im synaptischen Spalt – bildlich gesprochen wie ein Staubsauger, der überschüssiges Serotonin einsammelt und das Signal beendet. MDMA (3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin) dreht diesen Staubsauger um: Es bindet an SERT und veranlasst ihn, Serotonin in den Spalt zu pumpen. Beim Menschen führt das zu den bekannten empathogenen Effekten – Verbundenheit, Vertrauen, Geselligkeit. Genau diese pharmakologische Sonde nutzte das Team, um gezielt den serotonergen “Sozial-Schaltkreis” anzuticken.
Warum ausgerechnet Oktopusse?
Oktopusse sind neurobiologisch “fremd”: Ihr Nervensystem ist dezentral, zwei Drittel der rund 500 Millionen Neuronen sitzen in den Armen, die semi-autonom agieren können. Und die gewählte Art, Octopus bimaculoides, ist normalerweise asozial – außerhalb der Paarungszeit meidet sie Artgenossen und kann aggressiv werden. Perfekte Bedingungen also, um eine mögliche, medikamenteninduzierte Verschiebung Richtung Geselligkeit zu messen.
Der eigentliche Kick kam aus der Genetik: Das Gen Slc6A4 (SERT) ist zwischen Mensch und Oktopus bemerkenswert konserviert; gerade die Bindungsstelle für Serotonin und MDMA zeigt über 95 % Übereinstimmung, teils sogar Berichte über 100 % für die MDMA-relevanten Teile. Wenn das Zielmolekül so ähnlich ist – könnte dann MDMA im Oktopus etwas Vergleichbares auslösen wie beim Menschen?
So lief die Oktopus MDMA Studie ab
Die Forscher nutzten ein Aquarium mit drei verbundenen Kammern: eine leer, eine mit einem unbelebten Objekt (z. B. einer Star-Wars-Figur) unter einem perforierten Käfig, eine mit einem Artgenossen – ebenfalls gekäfigt, sodass visueller und taktiler, aber kein aggressiver Kontakt möglich war.
Vier Oktopusse durchliefen drei Phasen: 30 Minuten Baseline-Erkundung, dann 10 Minuten in Meerwasser mit gelöstem MDMA (Aufnahme über die Kiemen) und 20 Minuten “Auswaschen”, anschließend erneut 30 Minuten Erkundung.
Was die Oktopus MDMA Studie wirklich zeigte
Quantitativ verbrachten die Tiere unter MDMA signifikant mehr Zeit in der sozialen Kammer als nüchtern – eine bemerkenswerte Kehrtwende, da männliche Artgenossen zuvor eher gemieden wurden.
Qualitativ beschrieben die Forschenden mehr taktilen Kontakt: Statt vorsichtigem “Antasten” mit einem Tentakel kam es zu “extensivem ventralen Oberflächenkontakt” mit dem Käfig – medial als “Umarmen” oder gar “Anlehnbedürfnis” gedeutet. Anekdotisch wurde von spielerischer “Wasserakrobatik” berichtet. Faszinierend? Ja. Eindeutig? Das ist die Streitfrage.
Große These – und ebenso große Kritik
Die Autor:innen schlussfolgerten: Es gibt einen evolutionär konservierten, serotonergen Mechanismus für Sozialverhalten. Das Oktopusgehirn besitze latente soziale Schaltkreise, die im Alltag unterdrückt werden – MDMA hebt diese Bremse auf, indem es am konservierten SERT angreift.
Genau hier setzte die Debatte an. Eine formelle Replik legte methodische Schwächen offen:
Keine echte Placebo-Kontrollgruppe: Ohne Tiere, die dasselbe Handling und Zeitprotokoll durchliefen, aber nur Salzwasser bekamen, lässt sich der Effekt nicht sauber MDMA zuschreiben.
Wiederholte Tests als Störvariable: Drei der vier Oktopusse hatten am Vortag ein ähnliches Setting ohne Drogen absolviert. Lernen, Habituation/Dishabituation oder Gewöhnung an die Apparatur könnten die “geselligere” Wahl erklären.
Datenberichterstattung: Baseline-Daten wurden für wiederholt getestete Tiere aus einem vorigen Durchgang übernommen, ohne dies transparent auszuweisen.
Anthropomorphe Deutung: Der “ventrale Oberflächenkontakt” könne schlicht ein standardmäßiges Explorations- und Geschmackstast-Verhalten sein – nicht zwingend ein soziales “Umarmen”.
Kurz: Außergewöhnliche Behauptungen brauchen außergewöhnliche Belege. Hier blieb die Evidenz hinter der Kühnheit der These zurück.
Wissenschaft in Aktion: Hypothese, Gegenrede, Fortschritt
Das Ganze ist ein Lehrbuchfall für den Selbstkorrektur-Mechanismus der Wissenschaft. Eine provokante Studie erzeugt Aufmerksamkeit, die Community seziert Methoden und Daten, Schwachstellen werden publiziert – und die Latte für Folgestudien höher gelegt. Genau so sollten wir es wollen.
Jenseits des Hypes: Warum die Arbeit trotzdem wichtig ist
Trotz Kritik hat die Studie die Diskussion befeuert, Kopffüßer als Modellorganismen in der vergleichenden Neurowissenschaft ernster zu nehmen: bizarre Neuroanatomie, hohe Intelligenz – und gleichzeitig konservierte Gene. Zudem fügt sich das Projekt in Dölen’s Programm, wonach Psychedelika “kritische Lernphasen” und neuronale Plastizität wieder öffnen könnten. Das knüpft an therapeutische Ideen etwa rund um PTBS an und spiegelt sich in Initiativen wie dem PHATHOM-Projekt wider.
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Ethik nicht vergessen
Kopffüßer werden zunehmend als empfindungsfähig anerkannt, in manchen Rechtsräumen – etwa der EU – fallen sie unter Tierschutz für Versuchstiere. Tierschutzorganisationen kritisierten das Experiment scharf als “neugiergetriebenen Unsinn”. Die Forschenden betonten Versorgung und Erkenntnisgewinn. Diese Auseinandersetzung zeigt: Methodik allein reicht nicht; ethische Leitplanken sind integraler Teil guter Wissenschaft.
Fazit und Ausblick
Kreative Hypothese, cleveres Werkzeug – aber zu wackelige Methode für ein endgültiges Urteil. Eine robuste Replik bräuchte Placebo-Kontrollen, größere Stichproben, naive Tiere und objektive, nicht-anthropomorphe Verhaltensmaße. Ob ein Oktopus unter MDMA “Liebe” verspürt? Offene Frage. Vielleicht liefern künftige Studien mit weiteren Oktopusarten – etwa dem Pygmäen-Zebra-Oktopus – eines Tages klare Antworten.
Wenn dir dieser Deep Dive gefallen hat, lass gern ein Like da und teile deine Gedanken in den Kommentaren – welche Kontrollbedingungen würdest du in eine perfekte Replik der Studie einbauen?
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Verwendete Quellen:
PBS News: Scientists gave octopuses some molly. Here's what happened. - https://www.pbs.org/newshour/science/scientists-gave-octopuses-some-molly-heres-what-happened
The Guardian: The undersea and the ecstasy: MDMA leaves octopuses loved up ... - https://www.theguardian.com/science/2018/sep/20/mdma-makes-octopuses-more-sociable
JHU Hub: Asocial octopuses on ecstasy just want hugs, scientists say - https://hub.jhu.edu/2018/09/21/octopus-ecstasy-study/
Johns Hopkins Medicine: Octopuses Given Mood Drug 'Ecstasy' Reveal Genetic Link ... - https://www.hopkinsmedicine.org/news/newsroom/news-releases/2018/09/octopuses-given-mood-drug-ecstasy-reveal-genetic-link-to-evolution-of-social-behaviors-in-humans
The Biological Bulletin (Chicago Press): The Octopus: A Model for a Comparative Analysis of the Evolution of Learning and Memory Mechanisms - https://www.journals.uchicago.edu/doi/full/10.2307/4134567
BrainFacts: Octopuses on MDMA Hint at the Evolution of Social Behavior - https://www.brainfacts.org/in-the-lab/animals-in-research/2021/octopuses-on-mdma-hint-at-the-evolution-of-social-behavior-020521
JHU Hub Magazine: Making an octopus cuddly - https://hub.jhu.edu/magazine/2018/winter/octopus-mdma-study/
To The Best Of Our Knowledge: Luminous: What happens to an octopus on MDMA? - https://www.ttbook.org/show/luminous-what-happens-octopus-mdma
University of Chicago Psychiatry: Octopuses on ecstasy drug 'become more social' - https://psychiatry.uchicago.edu/news/octopuses-ecstasy-drug-become-more-social
Frontiers/PMC: Commentary: A Conserved Role for Serotonergic Neurotransmission in Mediating Social Behavior in Octopus - https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6702335/
Live Science: Confirmed: If You Give an Octopus MDMA, It Will Get All Cuddly - https://www.livescience.com/63636-octopus-gets-high-on-mdma.html
PubMed: A Conserved Role for Serotonergic Neurotransmission in Mediating Social Behavior in Octopus - https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30245101/
Frontiers in Behavioral Neuroscience (XML-Ansicht der Replik) - https://www.frontiersin.org/journals/behavioral-neuroscience/articles/10.3389/fnbeh.2019.00185/xml/nlm
Smithsonian Magazine: Ecstasy Turns Antisocial Octopuses Into Lovestruck Cuddle Buddies—Just Like Us - https://www.smithsonianmag.com/science-nature/ecstasy-turns-antisocial-octopuses-lovestruck-cuddle-buddiesjust-us-180970363/
Berkeley VC Research: Psychedelics and octopuses may hold keys ... - https://vcresearch.berkeley.edu/news/new-professor-psychedelics-and-octopuses-may-hold-keys-human-mind
Berkeley College of Letters & Science: For new professor, psychedelics and octopuses may hold keys ... - https://ls.berkeley.edu/news/new-professor-psychedelics-and-octopuses-may-hold-keys-human-mind
Berkeley News: For new professor, psychedelics and octopuses may hold keys to the human mind - https://news.berkeley.edu/2024/02/12/for-new-professor-psychedelics-and-octopuses-may-hold-keys-to-the-human-mind/
YouTube: 2020 Science Writers' Boot Camp: Psychedelics, Octopuses and a Critical Period for Social Learning - https://www.youtube.com/watch?v=eM2oIlk2duA
Chacruna: How MDMA, Octopuses, and Gül Dölen Reopen Minds - https://chacruna.net/how-mdma-octopuses-and-gul-dolen-reopen-minds/
PETA UK: Curiosity-Driven Nonsense: Octopuses Caged and Drugged for 'Science' - https://www.peta.org.uk/blog/curiosity-driven-nonsense-octopuses-caged-and-drugged-for-science/
YouTube: Octopuses Are Being Given Ecstasy in the Name of Science - https://www.youtube.com/watch?v=V6K1kVUct24
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